„Mütter sind keine Menschen“ … sorry, diese Aussage stammt nicht von mir, sonder von einer 14-jährigen Tochter aus einem Film. Die Jugendliche beklagt sich auf einer gemeinsamen Reise mit ihrer Mutter, dass sie seit zwei Stunden keinen Menschen mehr gesehen hat. Antwort der Mutter: „Dann schau doch mich an“. Antwort der Tochter: „Mütter sind keine Menschen“.

Ja, wir Mütter werden oft gar nicht mehr wahrgenommen, gesehen. Wir sind so selbstverständlich, dass wir wie ein guter (manchmal auf böser) Geist im Hintergrund schweben und für alle und alles sorgen. Als wären wir gar keine Person mehr sondern eher eine Funktion, so etwas wie eine formbare Masse, die sich amöbenhaft ausbreitet in ihrer Familie, die sich verbiegt, anpasst durch und an die Erwartungen und Ansprüche, die von ihr und von außen kommen, die sich durchschlängelt, die denkt, so muss man sein.

Oft denke ich mir, wie ist es (Gott) gelungen, eine Spezies mit dieser Vielfalt zu schaffen?

DIE MUTTER SPEZIES – ENORM VIELSEITIG UND APASSUNGSFÄHIG

Denn unsere Anpassungsfähigkeit an unseren Lebensraum ist phänomenal. In Sachen Brutpflege reagieren wir meist adäquat auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen. Stetig lenken wir unser Augenmerk sowohl auf die geistige, phsychische motorische und auch soziale Entwicklung des Kindes. Was immer gerade gefordert wird, die Spezies Mutter versucht ihr Bestes zu geben. Wir sind zugleich Taxiunternehmen, Sozial- und Familientherapeutin und Expertin in Ernährungsfragen.

… IMMER ZUSTÄNDIG UND FÜR ALLES VERANTWORTLICH

Seit Generationen zeichnen wir uns Mütter zudem exklusiv durch eine besonder Fähigkeit aus: Wir sind bereit, die Folgen jeder Fehlentwicklung auf uns zu nehmen. Wir fragen uns sofort: Was habe ICH falsch gemacht? Ist das Kind zu dick oder dünn, liegt es an meiner mangelhaften emotionalen und kulinarischen Zuwendung. Zeigt es keine Ambitionen im Üben eines Musikinstrumentes oder beim Zeichnen, habe ich nicht genügend motiviert. Kommt es in der Schule nicht mit, muss ich noch mehr fördern. Ist die Wäsche nicht gewaschen, kümmere ich mich nicht genug. Steht der falsche Joghurt im Kühlschrank – mein Fehler.

Aber so ist es und das ist das Besondere an unserer Spezies – wir sind für unsere Nachkommen zuständig in guten und vor allem in schlechten Zeiten und oft unser Leben lang.

… NIE GUT GENUG

Gehört man der Mutterspezies an, sind bestimmte Nebenwirkungen unausweichlich: Nie war oder ist es genug oder das Richtige was wir tun. Es ist, als fehle immer etwas, trotz unserer ständigen Bemühungen. Ein Thema, das oft zwischen den Generationen gehört, wie die Butter aufs Brot.

DOCH WIE IST ES RICHTIG?

Mehr kümmern, mehr umsorgen? Oder ist das dann schon wieder zuviel, zu aufdringlich?

Mehr eigene Interessen, Beruf, was aus meinem Leben machen – habe ich dann zu wenig Mütterlichkeit, bin ich zu egoistisch?

Mehr Distanz – mehr Nähe?

Ich dachte, ich hätte schon längst dieses Stadium des Grübelns verlassen. Doch ab  und zu erlebe ich, wie selbstverständlich Kinder und Partner ihr Leben leben und bin dann stinksauer, wenn die anderen das tun was ihnen gefällt, besser gesagt, sich nach ihren Bedürfnissen richten.

Ab und zu ertappe ich mich,wie ich denke „ich muss mich um alles kümmern, sorgen und die Verantwortung für alles und jeden übernehmen“ und verhalte ich auch so.

Man steckt in einem unüberschaubaren Gefühlskuddelmuddel und daraus soll man bestimmen was man will? Man ahnt, dass sich dieses Gebilde rund um einen selbst komplett verändern würde, wenn ich über mich selbst bestimme. Und das ist doch auch eine schöne Vorstellung.

DOCH WIE KOMMT MAN RAUS?

… AUFHÖREN SICH ZU RECHTFERIGEN

Was ist eine gute Mutter? – Auf diese Frage gibt es keine ausreichende Antwort. Es existiert kein fester Kriterienkatalog, kein Patentrezept und auch keine Anleitung über das Muttersein. Bindungsforscher raten vom Idealbild „der guten Mutter“ Abstand zu nehmen. Sie sprechen stattdessen von der „good enough mother“ also von der „hinreichend guten Mutter“. Denn wenn wir nicht in der Überforderung landen  und wir unsere Kräfte für viele Jahre aufteilen wollen, sollten wir mit unseren Ressourcen haushalten, aufhören uns immer schuldig zu fühlen, auf unser Einfühlungsvermögen vertrauen und unser Leben nicht nur über das Muttersein definieren.

…ÜBERLEGEN, WAS WILL ICH

Mir etwas suchen, was mir FREUDE macht. Ob das der Job ist, oder eine Hobby, eine ehrentamtliche Beschäftigung – wichtig dabei ist, es ist etwas, was mich richtig erfüllt und ich noch andere Facetten von mir einbringen kann. Ungemein hilfreich ist,  sich mal raus zu nehmen aus dem ganzen Trubel und wieder zu sich selbst  kommen. Eine gesunde Distanz zum Alltag zu schaffen und sich mal von außen zu betrachten. Wie will ich eigentlich sein? Wie will ich wahrgenomen werden? Was ist mir wichtig? –  auch im Bezug auf die Kinder.

… ANFANGEN ZU SCHÄTZEN, DAS WAS MAN JEDEN TAG TUT

Mütter leisten jeden Tag unendlich viel. Ist uns das bewusst? Oder schauen wir nur auf das, was wir heute nicht erledigt haben, wo wir wieder mal versagt haben? – Machen Sie sich doch mal eine Liste der Tätigkeiten, mit denen Sie heute den Tag gefüllt haben. Jedes Lächeln, jede Zuwendung, jedes gute unterstützende Wort, jede Fahrt, …. und schätzen Sie das als eine wertvolle Tätigkeit in der jahrelangen Entwicklungsbegleitung unserer Kinder

… DANKBAR SEIN – AUCH DER EIGENEN MUTTER GEGENÜBER

„Ich will nicht so sein wie SIE“ – Diesen Satz höre ich oft in meinen Coachings oder Seminaren. Mütter – Töchter – eine komplizierte Beziehung. Keine Beziehung ist enger, keine störanfälliger. Oft tritt man unbewusst in Konkurrenz mit ihr (oder mit der Schwiegermutter) und möchte vieles besser – anders machen. Wir wollen ihr oft nicht ähnlich sein und ertappen uns immer öfter dabei.

Dankbar sein bedeutet nicht, alles zu akzeptieren oder zu entschuldigen – denn auch Mütter machen Fehler, manchmal auch große. Doch es hilft uns das belastende Beziehungsgeflecht zu entwirren, wieder wir selbst zu sein und unsere Beziehung zu uns und zu unseren eigenen Kinder besser zu gestalten.

 

 

Mütter sind keine Menschen – oder?
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